Wie werden Ausschaffungen durchgeführt? Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter NKVF weiss es. Erstaunliches aus der «blackbox».
Bundesrat Beat Jans weist bei jeder Gelegenheit gerne darauf hin, dass die Schweiz pro Kopf europaweit am meisten Rückführungen von Migrant:innen durchführt. Und der Zürcher Sicherheitsdirektor brüstet sich ebenfalls bei jeder Gelegenheit mit der Konsequenz seiner Kantonspolizei bei Rückführungen. Doch wie werden diese Ausschaffungen überhaupt durchgeführt? Darüber berichten die Jahresberichte der Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) über ihr Vollzugsmonitoring.
Die NKVF ist eine behördenunabhängige nationale Kommission mit dem gesetzlichem Auftrag, in Einrichtungen des Freiheitsentzugs[1] regelmässige Kontrollbesuche durchzuführen. Damit sollen die Menschen- und Grundrechtskonformität freiheitsbeschränkender Massnahmen überprüft und sichergestellt werden. Daneben begleiten Personen aus ihrem Beobachterpool zwangsweise Rückführungen der Vollzugsstufen 2,3 und 4[2] und protokollieren diese mit Blick auf die Verletzung der Menschenrechte von Betroffenen. Die Kommission ist somit ein menschenrechtliches Überwachungsorgan und ist dafür mit namhaften Expert:innen besetzt. Über die Ausschaffungen verfasst und veröffentlicht die Kommission jährliche Berichte. Diese enthalten jeweils einen Schwerpunkt[3], Schilderungen von einzelnen Fällen und allgemeine Feststellungen sowie Empfehlungen an die Vollzugsbehörden[4].
Anfangs Juli ist der Bericht der Nationalen Kommission für die Verhütung von Folter über ihre Beobachtungen beim Monitoring des Vollzugs von zwangsweisen Rückführungen für das Jahr 2024 erschienen. Das folgende Zitat hält die Beobachtungen des Begleitteams der NKVF bei einer zwangsweisen Rückführung vom September 2024; entstammt dem erwähnten Dokument. Es spricht für sich:
«Für eine zwangsweise Rückführung mit Sonderflug wurde eine Familie, bestehend aus Vater, Mutter, zwei Kindern und einem erwachsenen Sohn, um 6 Uhr morgens in einem Bundesasylzentrum angehalten. Während der Anhaltung durch die polizeilichen Begleitpersonen führten die Eltern eine intensive Diskussion untereinander und brachten verbal ihre Ablehnung der bevorstehenden zwangsweisen Rückführung zum Ausdruck. Die Verständigung zwischen den polizeilichen Begleitpersonen und der Familie gestaltete sich schwierig. Mit Ausnahme des 14-jährigen Sohnes konnte sich kein Familienmitglied auf Deutsch verständigen. Eine professionelle Übersetzung war nicht organisiert worden. Der minderjährige Sohn musste zwischen den polizeilichen Begleitpersonen und den Eltern übersetzen. Dabei wurde er von seinen Angehörigen teilweise laut und emotional angesprochen. Eine Rechtsmittelbelehrung wurde schriftlich in der Muttersprache der zwangsweise rückzuführenden Personen vorgelegt. Ebenso informierte der Einsatzleiter mündlich auf Deutsch über mögliche Zwangsmassnahmen bei Widerstand. Der minderjährige Sohn musste diese Informationen übersetzen. Die drei erwachsenen Familienmitglieder setzten sich während der Anhaltung phasenweise körperlich stark zur Wehr. Vor dem Fahrzeug liess sich die Mutter zu Boden fallen. Sicherheitsmitarbeitende des Bundesasylzentrums versuchten, sie in ihrer Sprache zu beruhigen und zur Kooperation zu bewegen. Die beiden erwachsenen Männer wurden mit dem Kerberos-Gurt teilgefesselt. Aufgrund zeitlicher Verzögerung wurden die medizinischen Untersuchungen am Flughafen direkt im Fahrzeug vorgenommen, wobei der minderjährige Sohn für den Arzt übersetzte und teilweise der Google Übersetzer zum Einsatz kam. Gemäss medizinischer Unterlagen hatten einzelne Familienmitglieder bedeutende gesundheitliche Einschränkungen, darunter auch chronische Erkrankungen.»
Die NKVF konzentriert sich in diesem Einzelfall auf zahlreiche Kommunikationsprobleme[5] zwischen den Beamten und den auszuschaffenden Personen und kommt zu folgender Zusammenfassung:
«Die Kommission wiederholt, dass die von einer zwangsweisen Rückführung betroffenen Personen auf transparente Weise und in einer ihnen verständlichen Sprache über den Ablauf der Rückführung informiert werden sollten. Die zuständigen Behörden sollten dazu Begleitpersonen einsetzen, die über die nötigen Sprachkenntnisse für die Kommunikation mit den zwangsweise rückzuführenden Personen verfügen, oder eine professionelle Übersetzung organisieren. Die Kommission ist der Ansicht, dass minderjährige Kinder auf keinen Fall für Übersetzungen beigezogen werden sollten.»
Es erstaunt zunächst, dass die Kommission derart in die Details geht und Selbstverständlichkeiten wie den Beizug professioneller Übersetzer:innen bei einer zwangsweisen Ausschaffung überhaupt erwähnen muss. Offensichtlich kommt es dabei immer wieder zu schwerwiegenden Missverständnissen und/oder Kommunikationsproblemen. Als Folge davon kommt es z.B. zu unnötigen Fesselungen und/oder zu anderen entwürdigenden Behandlungen. Aus menschenrechtlicher Perspektive ist das Vollzugsmonitoring unbedingt notwendig und erforderlich. Nur durch solche unabhängigen Beobachtungsmissionen können unverhältnismässige und menschenrechtswidrige Vollzugsmassnahmen erkannt und gemildert werden.
Bedenkt man aber, dass die Kommission ihre Beobachtungs- und Berichtstätigkeit bereits seit 2012 ausübt, ist man noch mehr erstaunt: Ihre aktuellen Empfehlungen gleichen in vielen Punkten den Empfehlungen für das Jahr 2023 und ein Rückblick auf die Berichte der früheren Jahre zeigt, dass die Kommission überhaupt immer wieder dieselben Empfehlungen wiederholen muss. So fragt sich, ob die Berichte der Kommission von den Behörden und Beamten, die zwangsweise Rückführungen durchführen, überhaupt wahr- und ernst genommen werden. Dies gilt umso eher, als dass die Vollzugsbeamt:innen anscheinend mithilfe der Berichte der NKVF geschult werden (sollen?). Und merkwürdig bleibt, dass die Medien die Berichte der NKVF kaum je thematisieren. Offen bleibt deshalb, ob die Empfehlungen der Kommission reale Auswirkungen haben oder ob sie blosse Feigenblätter sind.
[1] Gefängnisse, geschlossene Abteilungen von psychiatrische Kliniken etc.
[2] s. Art. 28 der Zwangsanwendubgsverodnung, SR 364.3
[3] 2024 z.B. wie die Behörden die auszuschaffenden Personen informieren und mit ihnen kommunizieren
[4] D.h. die Migrationsämter und die beteiligten Polizeiorgane
[5] s. Seiten 14-16 des Berichts