Teure Symbolpolitik auf dem Rücken von Geflüchteten aus Eritrea

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trois points d'exclamation

Am 19. Dezember 2024 hat der Nationalrat das Pilotprojekt von Ständerat Damian Müller knapp abgelehnt. Es hatte ein Abkommen der Schweiz mit einem noch unbekannten Drittstaat zum Ziel, dort abgewiesene eritreische Geflüchtete gegen finanzielle Entschädigung zu platzieren (siehe Bulletin 24/1). Das Projekt wurde jedoch nicht begraben. Nun hat die Staatspolitische Kommission des Nationalrats am 25. April 2024 vier Motionen angenommen. Wir kommentieren die beiden wichtigsten Vorstösse, nämlich jene von Ständerätin Esther Friedli (SVP, SG), die im Hinblick auf den Abschluss eines Migrationsabkommens mit Eritrea eine Vertretung des SEM in der Region vorsieht und jene von Petra Gössi (FDP, SZ,) die vom Bundesrat ein Transitabkommen mit (einem ebenfalls noch unbekannten) Drittstaat zur vorübergehenden Übernahme von abgewiesenen Eritreer:innen verlangt.

 

Waren in den neunziger Jahren für die Bürgerlichen noch die Tamil:innen Sündenböcke und Anlass zu Verschärfungen der Asylpolitik, richteten sie ihren Focus in den letzten Jahren zusehends auf Geflüchtete aus Eritrea. Besonderes Ärgernis für sie war und ist der Umstand, dass Eritrea keine zwangsweisen Rückführungen von abgewiesenen Asylsuchenden erlaubt und den in der Schweiz lebenden Landsleuten gleichzeitig eine Art Aufenthaltssteuer abpresst. Hinzu kommen noch in der jüngsten Zeit Auseinandersetzungen zwischen Befürwortenden und Gegner:innen des Regimes.

 

Der von SVP und FDP ständig hochgehaltene politische Druck blieb auch bei den Asylabteilungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht folgenlos. Es änderte 2017 seine Eritrea-Praxis mit mageren, ja zweifelhaften Begründungen. Demnach reicht es seither nicht mehr für Asyl, wenn die Ausreise aus Eritrea und die daraufhin zu erwartende Bestrafung durch das eritreische Regime die einzigen Fluchtgründe sind. Und die Flucht vor dem jahrelangen militärischen Zwangsdienst anerkannte das Gericht nicht mehr als verbotene Zwangsarbeit, die in der Schweiz bisher Asyl verdiente. Als Folge davon erhielten viele Eritreer:innen bloss noch eine vorläufige Aufnahme oder wurden gar in die Nothilfe verwiesen. Es wären statt einer solch fragwürdigen Gerichtspraxis auch andere Lösungen denkbar gewesen. Es ist aber einzuräumen, dass seither viel weniger Asylsuchende aus Eritrea in die Schweiz gelangen. Allerdings kann die Ursache dafür nicht ohne Weiteres der harten Asylpraxis zugerechnet werden (siehe Bericht des Bundesrats vom 18.12.2020 zur Überprüfung der vorläufigen Aufnahme von 3400 Eritreer:innen).

 

Die Motion Minder, übernommen von  Esther Friedli, verlangt den Abschluss eines Migrationsabkommens zwischen der Schweiz und Eritrea. Im Hinblick darauf soll in der Region eine Vertretung des SEM stationiert werden. Nachdem Eritrea seit Jahrzehnten die zwangsweise Rückführung von abgewiesenen Asylsuchenden ablehnt, scheint es mehr als fraglich, ob eine solche Planstelle mehr als Kosten verursachen wird. 

 

In letzter Zeit versucht die FDP, der SVP die Deutungshoheit in der Migrationspolitik zu entreissen. Beispiele dafür sind verschiedene Vorstösse von Damian Müller, Petra Gössi oder etwa Andrea Caroni. Sie zielen nicht in erster Linie auf die Diffamierung von Geflüchteten und Ausländer:innen, sondern erreichen das gleiche Ziel, indem sie „sekundäre Migration“, „Unruhestifter“ und „irreguläre Migration“ anprangern. Wie bei der SVP konzentriert sich aber die FDP in erster Linie auf die verhältnismässig kleine Gruppe von Personen, die in die Schweiz flüchten. Dagegen verlangt sie ständig bessere Bedingungen für gut ausgebildete Expats, die als Fachkräfte zum Arbeiten kommen. 

 

Die Motion Gössi verlangt vom Bundesrat, er solle einen Staat finden, mit dem ein Transitabkommen für abgewiesene Eritreer:inen ausgehandelt werden kann. Dieses Land ausserhalb Europas sollte diese Menschen vorübergehend, also befristet, aufnehmen, bis sie von dort nach Eritrea reisen könnten. Der Bundesrat solle dafür das Modell eines Transitabkommens verwenden, das er 2002 dem Senegal unterbreitet hatte, aber von Senegal schliesslich abgelehnt wurde und nie in Kraft trat. In jenem Abkommen war im Drittstaat ein Transitaufenthalt von 72 Stunden vorgesehen. Befände sich die Person beim Ablauf dieser Frist noch im Vertragsstaat, müsste sie wieder in die Schweiz zurückkehren. Die Motion betrifft aktuell rund 280 abgewiesene eritreische Asylsuchende.

 

Abgesehen davon, dass die Schweiz auf der diplomatischen Ebene schon länger – erfolglos - ein zum Transitabkommen bereites Drittland sucht, müsste der Transitaufenthalt im Abkommen zeitlich befristet werden. Mit Sicherheit würde kein Staat auf eine Befristung des Aufenthalts verzichten. Das wendet auch der Bundesrat ein, der die Motion ablehnt. Es liegt zudem auf der Hand, dass sich jeder in Frage kommender Staat solche Transitaufenthalte mit harten Franken entgelten liesse. Gössi macht sich aber zur Finanzierung keine Gedanken. Vermutlich glaubt sie, ein Transitaufenthalt käme billiger, als die Nothilfezahlungen in der Schweiz. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die britische Regierung mit Kosten von über 100'000 Pfund pro Person rechnet, die sie nach Ruanda führt… 

 

Vor dem Hintergrund dieser praktischen Hürden scheint es sehr unwahrscheinlich, dass die Motion Gössi jemals in die Praxis umgesetzt wird, selbst wenn ihr der gesamte Nationalrat zustimmen sollte (was ja noch offen ist). Symbolpolitik ohne praktische, aber wohl mit ideologischer Auswirkung, also, abgesehen davon, dass sie Ressourcen der Bundesverwaltung bindet. Erstaunlich ist, dass die Vertreter der Mitte dafür gestimmt haben, nachdem sie im Vorfeld der Kommissionssitzung Ablehnung signalisierten. 

 

Für uns stehen menschenrechtliche Standards im Vordergrund. Nur schon das Modell «Verschiebebahnhof Drittstaat» ist ein würdeloses Vorhaben. Die hinter den am 25. April angenommenen Motionen stehende Absicht macht Schlimmeres deutlich: Schritt für Schritt soll der bisher geltende Grundsatz, dass Asylgesuche in der Schweiz beurteilt werden, aufgeweicht werden. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem GEAS ist für die Bürgerlichen Vorbild. Es sieht in einem ersten Schritt vor, Asylsuchende, die aus einem Land mit einer kleinen Anerkennungsquote stammen, in geschlossenen Lagern ausserhalb der EU auf den Entscheid warten zu lassen. Zu erwarten ist, dass GEAS diese Auslagerung in Zukunft auf alle Asylsuchenden ausweiten wird. Die Bürgerlichen verschieben so die Grenze des Sag- und Denkbaren mit dem Ziel, das geltende, strenge Asylrecht der Schweiz gänzlich auszuhebeln.