Eine Sommersession zum Frieren

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Parlamentsgeschäfte in der Sommersession

Die bürgerliche Mehrheit, allen voran die SVP, die FDP und die Mitte, aber auch die GLP, konkurrieren darum, möglichst viele migrationspolitische Vorstösse einzubringen. Wie die untenstehende Übersicht zeigt, sind darunter Projekte, die die Grund- und Menschenrechte in Frage stellen, aber auch solche, die lediglich symbolhaften Charakter haben, also zeigen sollen, dass «man» etwas gegen die Migration tun will. Allen ist gemeinsam, dass Migration in den Augen der bürgerlichen Mehrheit ein Übel ist, das man «selber kontrollieren», «einschränken», in «rechte Bahnen lenken» oder ganz «verhindern» muss. 

 

Dass ihre Vorstösse massive Ressourcen des Parlaments binden und kaum positive Wirkung zeigen, ist nur ein Nebenaspekt. Viel wichtiger ist, dass die politischen Hardliner mit ihrer Taktik die Grenzen des Sagbaren immer weiter nach rechts verschieben. So werden mutmasslich krass völkerrechts- und verfassungswidrige Gesetzesvorschläge im Plauderton diskutiert und gutgeheissen, ohne dass jemand dazwischenfährt und dagegen aufsteht. Ganz zu schweigen von den moralischen Konsequenzen angesichts der Vergangenheit, wie der Abweisung von – hauptsächlich jüdischen – Flüchtlingen an der Grenze im Zweiten Weltkrieg und dem noch nicht allzu lange abgeschafften Saisonnierstatut – der massenhaften Ausbeutung von ausländischen Arbeitskräften, denen der Familiennachzug verboten war.

 

VORSTÖSSE IM NATIONALRAT

 

1. GRENZEN

Zuerst hat die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat die Motion der SVP «Einen dauerhaften Grenzschutz gewährleisten» und diejenige der FDP «Verstärkte Grenzkontrollen aufrechterhalten» angenommen und an den Ständerat überwiesen, der ihnen vermutlich ebenfalls zustimmen wird. Beide Vorstösse sollen dafür sorgen, dass die Schweizer Grenze für unerwünschte Migrant:innen dicht gemacht wird. In der Praxis dürften sie kaum wesentliche Änderungen nach sich ziehen: Die Grenze wird schon heute vom Grenzwachtskorps und den Polizeien der Grenzkantone im Rahmen der Schengen-Vorschriften engmaschig überwacht. Siehe dazu den Beitrag «Machtspiele an der Grenze» von Simon Noori auf unserer Homepage.

 

2. LANDESVERWEISUNG UNVERÄNDERT

Interessant ist das Schicksal der Parlamentarischen Initiative von Pascal Schmid, dem Asylchef der SVP. Er wollte die Anordnung einer Landesverweisung gegenüber Ausländer:innen ohne Aufenthaltsrecht neu auch im Strafbefehlsverfahren, somit ohne gerichtliches Verfahren ermöglichen und die notwendige Verteidigung, d.h. die Beigabe einer anwaltlichen Rechtsvertretung abschaffen, «wenn Ausländern ohne Aufenthaltsrecht» nur die «Landesverweisung droht». Kosten sparen mit Hilfe von Entrechtung also. Nachdem die Rechtskommission dem Vorstoss mit überwiegender Mehrheit keine Folge gab, zog Schmid den Vorstoss diskussionslos zurück. 

 

3. VISA

Der vom Bundesrat vorgeschlagenen Digitalisierung des Visumsverfahrens im Rahmen des Schengen-Abkommens, welche Änderungen des AIG nach sich zieht, stimmte der Nationalrat ohne Änderungen zu. Das Geschäft ist nun beim Ständerat hängig. Die neuen Bestimmungen betreffen Visumanträge für den kurzfristigen Aufenthalt. Künftig müssen solche Anträge online auf einer europäischen Plattform eingereicht werden. Darauf kann nur in Ausnahmefällen verzichtet werden, wenn z.B. besondere humanitäre Gründe vorliegen.

 

4. GEAS

Am 19. Juni 2025 hat der Nationalrat einen wichtigen Teil der bundesrätlichen Vorlage zur Schweizer Übernahme des Europäischen Asylpakts, der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems GEAS, überraschend abgelehnt. Grüne und SVP erreichten wegen der Enthaltung der FDP eine Mehrheit gegenüber der Mitte, der SP und der GLP. Dazu mehr und ausführlich auf der Homepage von Solidarité sans frontières.

 

5. SANS-PAPIERS

Ein für Sans-Papiers besonders wichtiges Geschäft, die SVP-Motion Salzmann «Datenaustausch bei illegalen Migranten systematisieren» nahm der Nationalrat mit den Stimmen der bürgerlichen Mehrheit als Zweitrat an. Der Bundesrat muss nun Massnahmen treffen, damit sämtliche relevanten Daten von undokumentierten Migrant:innen betreffend Aufenthaltsstatus, Wohnort, Versicherungsstatus, Prämienzahlungen, Prämienvergünstigungen, Versicherungsleistungen von Krankenkassen, AHV, IV und weiteren Sozialversicherungen ausgetauscht und abgeglichen werden. Ziel sei es, «die Anwesenheit von illegalen Migranten in der Schweiz dauerhaft zu bekämpfen und wenn immer möglich dauerhaft zu unterbinden. Dafür müsse der Datenaustausch zwischen Kantonen, Gemeinden, Sozialbehörden, Krankenkassen, AHV, IV und weiteren Sozialversicherungen bezogen auf diese Personen systematisiert werden». Über die Bedeutung und den rechtlichen Hintergrund informiert die Sans-Papiers Anlaufstelle Zürich in ihrem letzten Bulletin. Ob die Ziele der Motion in der Praxis erreicht werden können, steht auf einem andern Blatt. Klar ist aber, dass solche Gesetzesentwürfe Sans-Papiers schon heute, im Zeitpunkt ihrer Ausarbeitung, massiv einschüchtern. 

 

Am 25. Juni 2025 gibt es zu diesem Thema eine Podiumsdiskussion der Berner Beratungsstelle für Sans-Papiers: 25.06.25, 20 Uhr im Quartierraum Holliger, Holligerhof 8, 3008 Bern.

 

IM STÄNDERAT

 

6. SCHENGEN

Der Ständerat diskutierte demgegenüber zunächst über die Revision des Schengener Grenzkodex’, den die Schweiz in ihre Gesetzgebung übernehmen soll. Dabei geht es um neue Bestimmungen zu Grenzübertritten, Grenzkontrollen – so zur Wiedereinführung von Grenzkontrollen – sowie zu einem neuen Überstellungsverfahren irregulär eingereister Personen. Zudem soll neu auch das EDA Zugriff auf das nationale ETIAS erhalten, dem «European Travel Information and Authorisation System», einem neuen elektronischen Anmelde-System, das für visumfreie Reisende in den Schengen-Raum eingeführt wird. Dafür werden auch redaktionelle Anpassungen im Ausländer- und Integrationsgesetz vorgenommen. Erreicht werden soll damit «ein gezielteres Vorgehen gegen grosse Bedrohungen wie Gesundheitskrisen, Terrorismus, die staatliche Steuerung und Instrumentalisierung von Migranten und Sekundärmigration.» Die wesentlichen Neuerungen betreffen gemäss der Kommissionssprecherin «koordinierte Gesundheitsmassnahmen, Schutzmechanismen bei Gesundheitskrisen, verschärfte Regeln für Binnengrenzkontrollen, Alternativen zu Grenzkontrollen, ein Konsultationsverfahren, ein neues Überstellungsverfahren, Schutz der Grenzregionen und die Bekämpfung der staatlich gesteuerten Migration.» Der Rat hat der pfannenfertigen Vorlage für die Umsetzung der EU-Verordnung im Rahmen von Schengen gegen die Opposition der SVP mehrheitlich zugestimmt. Das Geschäft geht nun an den Nationalrat.

 

7. WEGWEISUNGSVOLLZUG

Ebenfalls zugestimmt hat der Ständerat der – recht unpräzise formulierten – FDP-Motion «Unterstützung der Kantone beim Wegweisungsvollzug». Es geht dabei um eine bessere Koordinierung zwischen Bund und Kantonen bei Ausschaffungen. Symbolpolitik für die Galerie.

 

8. BEWEGUNGSFREIHEIT EINSCHRÄNKEN

Dass die bürgerliche Mehrheit im Ständerat die «Bewegungsfreiheit von Asylkriminellen einschränken» will, hat die SVP schon im Voraus geahnt und zwei fast gleichlautende Vorstösse lanciert. Nach der Zustimmung im Nationalrat wurde auch dieser zweite Anlauf vom Ständerat gutgeheissen. Der Bundesrat muss nun prüfen, wie er die Bewegungsfreiheit von Personen im Asylverfahren, abgewiesenen Asylbewerber:innen und Migrant:innen ohne Aufenthaltsrecht zum Schutz der Bevölkerung bis zum Strafvollzug und zur Ausschaffung konsequent einschränken kann, sobald gegen diese ein Strafverfahren wegen eines Vergehens oder Verbrechens nach StGB oder BetmG eröffnet wurde.

 

Wie sogar die NZZ ausführt, sind dabei die rechtlichen Hindernisse massiv. Entgegen stehen dem nämlich die in der Bundesverfassung verankerte Bewegungsfreiheit (Art. 10. Abs. 2 BV) sowie die Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV). Hinzu kommen praktische Erschwernisse wie fehlende Kapazitäten der kantonalen Polizeien und das Fehlen ausreichender Haftplätze. Der Vorstoss dürfte dennoch zu mehr Eingrenzungen und haftähnlichen Unterbringungen in besonderen Zentren führen, obwohl das bestehende Instrumentarium der Zwangsmassnahmen (s. Art. 73 ff. des AIG) bereits ein rigides Regime durchsetzt. 

 

9. WEGWEISUNGEN: RAUS

Die Zürcher GLP-Ständerätin Tiana Moser fand im Ständerat mit ihrem Vorstoss «Inhaftierung und Wegweisung von kriminellen Mehrfachtätern im Asylbereich» Zustimmung.  Durch rechtliche Anpassungen solle ein «wirkungsvoller Haft- und Wegweisungsvollzug von straffälligen Mehrfachtätern im Asyl- und Ausländerbereich» gewährleistet werden. Zusätzlich habe der Wegweisungsvollzug im Anschluss an die Haft zu erfolgen. Das Geschäft wird nun vom Nationalrat behandelt. Siehe dazu auch den Artikel von Sophie Guignard auf sosf.ch.

 

10. AUSSCHLUSS VOM ASYLVERFAHREN WEGEN STRAFVERFAHREN

Krass: Der Ständerat hat den potentiell verfassungswidrigen Vorstoss der SVP «Kein Asylverfahren und kein Bleiberecht für Verbrecher» als Zweitrat angenommen. Demnach ist nun der Bundesrat beauftragt, «mit geeigneten Massnahmen dafür zu sorgen, dass Personen im Asylverfahren, vorläufig Aufgenommene und Flüchtlinge, die wegen eines Verbrechens nach Strafgesetzbuch (StGB) oder Betäubungsmittelgesetz (BetmG) verurteilt worden sind, konsequent vom Asylverfahren ausgeschlossen werden bzw. ihnen bereits erteilte Aufenthaltsbewilligungen (Asyl, vorläufige Aufnahme, Schutzstatus S, Familiennachzug etc.) entzogen werden.»

Einmal mehr wurde mit der angeblich erhöhten Kriminalität von Personen des Asylbereichs argumentiert. Der Bundesrat wies demgegenüber vergeblich auf die verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Schranken des flüchtlings- und des menschenrechtlichen Rückschiebeverbot hin (Art. 25 Abs. 2 und 3 der Bundesverfassung, Art. 33 Abs. 1 der Flüchtlingskonvention, Art. 3 der europäischen Menschenrechtskonvention). Nach dem Asylgesetz kann asylberechtigten Flüchtlingen die Aufenthaltsbewilligung entzogen werden, wenn sie zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt werden (Art. 53 des Asylgesetzes). Dagegen kann ihnen der Flüchtlingsstatus und damit der Schutz vor Wegweisung nur im Ausnahmefall, bei Begehung eines äusserst extremen Verbrechens, entzogen werden. Der Vorstoss zielt somit darauf ab, das flüchtlingsrechtliche Rückschiebeverbot Schritt für Schritt aufzuweichen und letztlich abzuschaffen. Es liegt auf der Hand, dass sich Solidarité sans frontières gegen eine solche Entrechtung wehrt. 

 

11. UMA-STRATEGIE

Wenig zu diskutieren gab im Ständerat der Vorstoss von GLP-Ständerätin Moser zur «Strategie für den Umgang mit kriminellen Unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden». Der Bundesrat ist bereit, eine solche im Rahmen der noch fertig auszuarbeitenden Asylstrategie zu entwerfen, falls der Nationalrat als Zweitrat zustimmt.

 

12. «REFORM» DER VORLÄUFIGEN AUFNAHME

Gegen den Willen des Bundesrats ist der Ständerat auf Thierry Burkarts Motion «Statuts der vorläufigen Aufnahme klären und eingrenzen» eingetreten. Der Bundesrat soll dadurch beauftragt werden, die vorläufige Aufnahme (VA) auf einen eng definierten Personenkreis zu beschränken. Gemäss Burkart sollen klare, objektive Kriterien geschaffen werden, die den vorläufigen Schutzstatus ausschliesslich Personen vorbehalten, die in akuten Schutzsituationen Hilfe benötigen. Auch die FDP macht also beim Umkrempeln des schweizerischen Schutzsystems mit. Der Vorstoss wird nun in der Staatspolitischen Kommission des Ständerats vorberaten. Siehe dazu auch die Analyse von Elodie Feijoo von asile.ch auf unserer Homepage.

 

13. RAUS, RAUS, RAUS

Der Ständerat hat auch die Motion von Petra Gössi «Straffällige Personen aus dem Asyl- und Ausländerbereich möglichst rasch aus der Schweiz ausschaffen» angenommen. Der Bundesrat solle zusammen mit den Kantonen eine nationale Taskforce «Sicherheit im Asyl- und Ausländerbereich» einsetzen. Zielpersonen sind die sogenannten «Auto-Fälleler» bzw. gewalttätige Asylsuchende. Diese soll mit koordiniertem Vorgehen aller involvierten Behörden (Staatssekretariat für Migration, kantonale Migrationsämter, Staatsanwaltschaft, Justizvollzug, Polizei) dafür sorgen, dass nicht schutzbedürftige, straffällige Personen aus dem Asyl- und Ausländerbereich möglichst rasch aus der Schweiz ausgeschafft werden. Gössi verspricht sich dadurch die Erhöhung des nationalen Sicherheitsniveaus und Abschreckung von «Personen, die gar keinen Schutz wollen». Zuständig für die weitere Diskussion ist nun die nationalrätliche Kommission. Auch dies dürfte als Vorstoss mit eher geringen Auswirkungen betrachtet werden. Er geht zur weiteren Behandlung an den Nationalrat.

 

14. IMMERHIN NOCH ETWAS INTEGRATIVES

Mitte-Ständerätin Heidi Z’graggen war erfolgreich mit ihrem Vorstoss «Verbindlichkeit von Integrationsmassnahmen für Geflüchtete erhöhen». Damit soll die sprachliche Integration von jungen Geflüchteten verbessert werden. Der Bundesrat ist dafür; nun ist der Nationalrat am Ball.