Mattea Meyer und Balthasar Glättli nehmen Stellung gegen Dublin-Rückführungen nach Kroatien

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Mattea Meyer et Balthasar Glättli

Die Übergriffe, die Geflüchtete erlitten haben, die vor ihrer Ankunft in der Schweiz durch Kroatien gereist sind, sind unvorstellbar. Die Berichte der Bleiberechtskollektive zeichnen ein erschreckendes Bild vom Ausmass der Gewalt, die von der kroatischen Polizei gegenüber diesen Menschen ausgeübt wird. Der Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter, der mehrmals vor Ort war, hat diese Misshandlungen bestätigt. [Bericht von 2021 hier].

Es ist inakzeptabel, dass die Schweiz Menschen an den Ort zurückzuschickt, an dem sie staatliche Gewalt erlitten haben. Noch schlimmer ist es, sie an einen Ort zurückzuschicken, an dem sie, um eine Wiedergutmachung zu erhalten, die internationale Justiz anrufen müssen. Denn bei der Behandlung von Geflüchteten werden in Kroatien grundlegende Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit nicht eingehalten: die Achtung der Menschenrechte, die Nichtdiskriminierung, die Gleichheit vor dem Gesetz und schliesslich die Einhaltung der Gesetze durch die Regierung und die Verwaltung. Internationale Konventionen wie die UN-Konvention gegen Folter, das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, die Europäische Menschenrechtskonvention und die Konvention über die Rechte des Kindes, um nur einige zu nennen, werden missachtet.

Die Weigerung, Asylanträge zu registrieren, sowie physische, psychische und sexuelle Gewalt durch verschiedene Polizeieinheiten wurden von einer Vielzahl von Akteuren - von Journalisten über NGOs bis hin zum Europarat - dokumentiert und wiederholt öffentlich gemacht. Auch das Fehlen wirksamer Mechanismen zur rechtlichen Wiedergutmachung wurde von kroatischen und internationalen NGOs aufgezeigt. In einem Urteil des EGMR wurde Kroatien kürzlich für schuldig befunden, das Recht auf Leben von Migrant:innen in seinem Hoheitsgebiet missachtet zu haben.

Darüber hinaus besagt Artikel 14 der Anti-Folterkonvention der UNO, dass jeder Vertragsstaat in seinem Rechtssystem dem Opfer einer Folterhandlung das Recht auf gerechte und angemessene Wiedergutmachung und Entschädigung garantiert, einschliesslich der Mittel, die für seine möglichst vollständige Genesung erforderlich sind. Eine solche Wiedergutmachung ist in Kroatien de facto unwahrscheinlich. Die Mechanismen zur Auffindung und Betreuung von Folteropfern wurden von mehreren unabhängigen NGOs als mangelhaft bezeichnet.

Es muss daran erinnert werden, dass Personen, die nach Kroatien zurückgeschickt werden sollen, manchmal sowohl in ihrem Herkunftsland als auch auf kroatischem Boden folterähnliche Misshandlungen erlebt haben. Von diesen Personen zu verlangen, dass sie sich für eine Wiedergutmachung an die staatlichen Strukturen wenden, die für diese systematischen Rechtsverstösse und die Gewalt gegen sie verantwortlich sind, ist daher unannehmbar, verkennt die Realität und verstösst gegen die Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen.

Darüber hinaus ist die Versorgung im kroatischen Gesundheitssystem, insbesondere für Personen im Asylverfahren, weitgehend unzureichend. Dies ist umso besorgniserregender als vielen Geflüchteten in der Schweiz die medizinische Versorgung mit der Begründung verweigert wurde, dass ihre Überstellung nach Kroatien unmittelbar bevorstehe.

Mit seiner Position macht es sich das SEM zu leicht: Es reicht nicht zu erklären und zu hoffen, dass die Gewalt an den kroatischen Grenzen nichts mit dem zu tun hat, was im Landesinneren geschieht: Ein Staat, der Gewalt gegen Migrant:innen toleriert und fördert, ist ein Staat, der klar seine Weigerung signalisiert, die internationalen Konventionen für Flüchtlinge zu respektieren. Das SEM muss hier seine Verantwortung wahrnehmen: Rückführungen nach Kroatien sind inakzeptabel, und die Souveränitätsklausel, die im Übrigen im Dublin-Abkommen vorgesehen ist, muss dringend in Anspruch genommen werden. Die Rückführungen nach Kroatien müssen umgehend eingestellt werden.

 

Mattea Meyer, SP-Nationalrätin (ZH) und Co-Präsidentin SP Schweiz und Balthasar Glättli, Präsident Grüne Schweiz

 

 

Weiterführende Informationen

Solidarité sans frontières: Dublin-Rückführungen nach Kroatien müssen per sofort gestoppt werden

Center for Peace Studies and Welcome Initiative: 7th Pushback Report: Report on illegal expulsions from Croatia in the context of the Covid-19  Pandemic

SFH : Polizeigewalt in Bulgarien und Kroatien: Konsequenzen für Dublin-Überstellungen

SFH: Juristische Analyse zu Kroatien: SFH beurteilt aktuelle Praxis der Schweiz kritisch

Photo Credit: Aleksandra Zdravkovic, SP Schweiz – Balthasar Glättli, Grüne Schweiz