Das Recht auf Familienleben für Personen mit einer F-Bewilligung wird erneut angegriffen. Eine nicht umsetzbare Motion skandalisiert eine kleine Anzahl von Fällen und würde, falls sie angenommen wird, das Familienleben dieser Personen komplett verunmöglichen.
Sein Herkunftsland verlassen zu müssen, sei es aufgrund von Verfolgung oder willkürlicher Gewalt in Konfliktsituationen, ist immer mit grossen Leiden verbunden. Familien werden oft getrennt und sehen sich jahrelang nicht, was für die betroffenen Personen belastend ist. Deshalb ist für international Schutzbedürftige der Familiennachzug eine Priorität, sobald sie Zuflucht gefunden haben.
Ein international verankertes Recht
Der Grundsatz der Einheit der Familie und das Recht auf Familienleben sind grundlegende Menschenrechte, die in zahlreichen internationalen und nationalen Rechtsgrundlagen verankert sind: in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Artikel 12), der Europäischen Menschenrechtskonvention (Artikel 8: Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens), dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II), der Kinderrechtskonvention sowie in der Schweizerischen Bundesverfassung (Artikel 13 und 14: Recht auf Privat- und Familienleben).
In der Schweiz ist der Familiennachzug für vorläufig aufgenommene Personen jedoch an strenge Bedingungen geknüpft, die im Artikel 85c des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) festgelegt sind. Diese Einschränkungen führen zu sehr langen und komplizierten Verfahren, die den oben genannten Prinzipien widersprechen.
Die Motion Friedli
Die Motion 24.3511 «Kein Familiennachzug für vorläufig Aufgenommene», eingereicht von der SVP-Ständerätin Esther Friedli, zielt nun darauf ab, dieses Recht vollständig zu streichen, wie es der Titel nahelegt. Es ist nicht das erste Mal: Diese Motion wird seit 2011 regelmässig von SVP-Parlamentarier:innen mit demselben Text und denselben Argumenten eingereicht, jedoch bisher ohne Erfolg, da sie stets von beiden Kammern sowie dem Bundesrat abgelehnt wurde. Es handelt sich somit um einen wiederholten Versuch der Politisierung ohne echte Auseinandersetzung mit den Argumenten, was angesichts des massiven Eingriffs in das Recht auf Familienleben der betroffenen Personen besonders besorgniserregend ist.
Die vorläufige Aufnahme wird ausgesprochen, wenn die Vollstreckung einer Wegweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar ist (Art.83 AIG). Es handelt sich mehrheitlich um Personen, die vor Gewalt geflüchtet sind, oft um Flüchtlinge nach internationalem Recht, aber nicht nach Schweizer Recht (wie dies bei der Mehrheit der in der Schweiz lebenden Syrer:innen und Afghan:innen der Fall ist). Entgegen der weitverbreiteten Meinung bleiben diese Personen nicht vorübergehend in der Schweiz, sondern können oft über Jahrzehnte nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren.
Das Leid der betroffenen Personen
Zudem ist es dieser Personengruppe untersagt, ins Ausland zu reisen, was im Falle einer Annahme der Motion jegliche Form von Familienleben für diese Menschen unmöglich machen würde. Eine solche Entscheidung würde zusätzlich ihre Integration erschweren, wie eine Studie des Roten Kreuzes gezeigt hat: Die emotionale Belastung, sich ständig um seine Angehörigen sorgen zu müssen, behindert die Integrationsbemühungen oder lässt sie im schlimmsten Fall scheitern. Ganz zu schweigen davon, dass diese Menschen und ihre Familien eher geneigt wären, auf Schlepper zurückzugreifen und gefährliche Fluchtwege zu nehmen, was die bereits tragisch hohe Zahl an Toten an den Grenzen Europas nur weiter erhöhen würde.
Kaum Einreisen in die Schweiz auf dieser Rechtsgrundlage
Das Recht auf Familiennachzug abzuschaffen, ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch unvereinbar mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz, welche die oben erwähnten Konventionen ratifiziert hat. Anstatt vorläufig aufgenommene Personen zu dämonisieren und auf ihre Kosten Politik zu betreiben, ist es wichtig, die Zahlen objektiv zu betrachten: Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hat in den letzten vier Jahren im Durchschnitt 108 Bewilligungen pro Jahr nach Artikel 85c AIG erteilt. Diese Zahl zeigt, wie streng die gesetzlichen Voraussetzungen sind. Der Familiennachzug für vorläufig aufgenommene Personen ist kein Massenphänomen, sondern betrifft individuelle Schicksale, deren Leid wir in unserer täglichen Arbeit spüren. Wir müssen darauf achten, dieses Leid nicht weiter zu verschärfen.