In der Frühjahrssession ist in beiden Räten eine gleichlautende Motion traktandiert, die erneut das Recht auf Familienleben angreift. Betroffen sind diesmal alle, die Familienmitglieder ohne Schweizer Pass haben.
Bis zur Annahme der bilateralen Abkommen mit der Europäischen Union galt in der Schweiz das «Saisonnierstatut». Mit diesem Status ging ein unmenschliches Migrationsregime einher, das mit den Grundrechten unvereinbar war, enorme Leiden verursachte und Saisonarbeitende zwang, unter oft prekären Bedingungen zu leben: Untergebracht ausserhalb der Städte, bewohnten sie überfüllte Baracken. Juristisch fragil waren diese Arbeitskräfte durch aufeinanderfolgende Verträge gebunden, ohne die Möglichkeit, ihre Familien legal nachzuholen. So wuchsen tausende Kinder am Rande der Gesellschaft auf – ohne jeglichen Aufenthaltsstatus. Dieses Regime, Quelle enormer Leiden, wurde erst 1999 durch die Personenfreizügigkeit und die bilateralen Abkommen mit der EU aufgehoben.
Willkürliche Vorschläge
Es ist offensichtlich, dass heute einige politische Kräfte weiterhin einen entmenschlichenden Ansatz in der Migrationspolitik verfolgen, der nur Arbeitskräfte will und nicht Menschen («Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen», schrieb der Schweizer Schriftsteller Max Frisch 1965 in seinen Beobachtungen zur Migration). Zwei Motionen, 24.4320 im Ständerat und 24.4444 im Nationalrat, beide betitelt «Von Dänemark und Schweden lernen. Familiennachzug auf die Interessen der Schweiz ausrichten», zielen darauf ab, willkürliche Hindernisse für das grundlegende Recht auf Familienleben zu errichten, um rückwärts in Richtung des alten Regimes zu gehen. Zu den vorgeschlagenen Massnahmen gehören:
● Die Forderung nach einem Mindestalter von 24 Jahren für Personen, die ihre Familie in die Schweiz holen möchten
● Die Festlegung eines Höchstalters von 15 Jahren für Kinder
● Die Bedingung der finanziellen Unabhängigkeit und die Forderung, die Kosten des Nachzugs zu tragen, die bereits bei der Mehrheit der Familienzusammenführungen – mit einigen streng definierten Ausnahmen – angewandt wird.
Diese Kriterien, denen jegliche objektive Begründung fehlt und die einzig dazu dienen, die Ausübung des Rechts auf Familienleben zu erschweren, verstossen gegen den in Artikel 8 der Bundesverfassung verankerten Gleichheitsgrundsatz sowie gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Eine strikte Anwendung dieser Kriterien wäre mit der Konvention über die Rechte des Kindes und der Europäischen Menschenrechtskonvention unvereinbar, da sie eine Einzelfallabwägung der Interessen unmöglich machen würden. Das UNHCR hat in einer detaillierten Stellungnahme bereits die Problematik der Motionen aus Sicht der Flüchtlingskonvention dargelegt.
Wie immer: Flüchtlinge werden zum Sündenbock gemacht
Wirtschaftsverbände, politische Parteien, der Bundesrat und diverse Interessengruppen mobilisieren bereits gegen die Motionen und argumentieren, dass sie die Attraktivität der Schweiz beeinträchtigen würden. Tatsächlich erfolgt der Familiennachzug in der Schweiz überwiegend über Personen, die gekommen sind, um eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben – sei es im Rahmen europäischer Abkommen oder durch die aktive Rekrutierung von qualifizierten Arbeitskräften aus Drittländern durch Schweizer Unternehmen. Dennoch ist es unmöglich zu ignorieren, dass die von den Verfasser:innen dieser Motionen vorgebrachten Argumente implizit Flüchtlinge ins Visier nehmen. Ihre Argumentation lässt vermuten, dass es die Flüchtlinge und Personen mit vorläufiger Aufnahme seien, die für die Zunahme der Migrationsströme verantwortlich seien – was absolut nicht der Fall ist. Bei Personen mit vorläufiger Aufnahme beläuft sich deren Zahl aufgrund eines bereits sehr restriktiven gesetzgeberischen Rahmens auf etwa 108 pro Jahr.
Es sei daran erinnert, dass der Grundsatz der Einheit der Familie ein fundamentales Menschenrecht ist. Flüchtlinge, die durch Krieg und Verfolgung von ihren Angehörigen getrennt sind, erleiden eine unfreiwillige Trennung. Die Verlängerung dieser Trennung kann katastrophale Folgen haben – sowohl für jene, die in der Schweiz leben, als auch für jene, die in potenziell gefährlichen Situationen im Ausland verweilen. In einem bereits restriktiven rechtlichen Kontext hätten die Motionen 24.4320 und 24.4444 einen unverhältnismässigen Einfluss auf diese Personen und würden auch dem öffentlichen Interesse an einer raschen Integration zuwiderlaufen.
Das nordische Modell als Vorbild? Ja gerne.
Die Verfasser:innen der Motionen berufen sich auf Dänemark und Schweden als Vorbilder. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass keines dieser Länder ein absolutes Verbot der Familienzusammenführung auf der Grundlage von Alterskriterien kennt. Die eigentliche Lehre aus diesen Ländern liegt in ihrem Respekt der europäischen Normen und der Menschenrechte. Beispielsweise halten sich beide Länder an die verbindlichen Entscheide des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. So hat Dänemark nach dem Urteil M.A. gegen Dänemark die Wartezeit von drei auf zwei Jahre verkürzt – ein Erfordernis, welches die Schweiz noch nicht gesetzlich angepasst hat.