Bürgerliche Ständeräte wollen das Non-Refoulement-Gebot abschaffen

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Tusche Zeichnung von dunklen Kreisen, Aquarellmässig

Einmal mehr hat es sich die SVP nicht nehmen lassen: Für die Herbstsession hat sie wiederum eine Ausserordentliche Asylsession durchgestiert. Im Ständerat findet sie am 23., im Nationalrat am 24. September 2025 statt. Für die SVP eine weitere Gelegenheit, die Ausländer:innen und das Asylrecht, aber auch die Menschenrechtskonvention, als Mutter allen Übels publikumswirksam zu denunzieren.

 

Hatten Ende Mai 2025 Dänemark und Italien, unterstützt von weiteren sieben EU-Staaten, in einem offenen Brief eine «Neuinterpretation der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verlangt, um die Abschiebung ausländischer Straftäter künftig zu vereinfachen», fordert nun der Schaffhauser Ständerat Germann (SVP), die Schweiz solle sich der Initiative der neun EU-Staaten anschliessen. Die Motion (25.3739) wird von mehreren FDP- und Mitte-Vertreter:innen sowie von Daniel Jositsch (SP) unterstützt. Meloni und Fredriksen lassen grüssen…

 

Germann behauptet in seinem Vorstoss, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) halte sich nicht an das Subsidiaritätsprinzip und auferlege den Mitgliedstaaten Verpflichtungen, die sie staatsvertraglich nie eingegangen seien. Er schränke ihre politischen Handlungsspielräume ein und vereitle insbesondere die Handlungsfähigkeit in der Migrationspolitik und die Sicherheit der eigenen Bevölkerung. 

 

Das ist manipulative Stimmungsmache und faktischer Unsinn: In Tat und Wahrheit hindert der Gerichtshof für Menschenrechte die Mitgliedstaaten an der Abschiebung von Straffälligen keineswegs. Er nimmt lediglich die Grundsätze der Nichtrückschiebung und der Verhältnismässigkeit, die übrigens auch in der Schweizer Bundesverfassung (Art. 25 Abs. 2 und 3 sowie Art. 36 BV) verankert sind, in seiner ständigen Rechtsprechung einigermassen ernst, lehnt aber die überwiegende Anzahl der unterbreiteten Klagen ab und verfolgt bei Abschiebungen von Straffälligen generell eine restriktive Praxis.

 

Das wissen auch die SVP und die andern Bürgerlichen. Aber sie berufen sich immer wieder auf die Annahme der Ausschaffungsinitiative, um eine noch härtere Abschiebepraxis durchzusetzen, die sich um menschenrechtliche Standards foutiert. Damit gewichten sie die Rechte der Mehrheit explizit höher als die Rechte der Minderheit, was den Grundgedanken der Menschenrechte widerspricht. Diese wurden von den Verfassern der EMRK nach dem Zweiten Weltkrieg bewusst verankert, um den politischen Spielraum der Regierungen zu beschränken. Damals bestand noch Konsens, weil man erfahren hatte, wohin willkürliches Regieren führen kann, wenn menschenrechtliche Schranken fehlen. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund haben die europäischen Staaten freiwillig einen Teil ihrer Souveränität abgetreten, damit im Einzelfall unter bestimmten, engen Voraussetzungen eine unabhängige Instanz, der EGMR, gegen sie entscheiden kann. Faktisch beschneidet die EMRK den politischen Handlungsspielraum der Regierungen nur unwesentlich. 

 

Die Verfasser der EMRK waren sich übrigens auch bewusst, dass die Auslegung der Konvention mit den gesellschaftlichen Entwicklungen Schritt halten und sich ihnen entsprechend entwickeln muss: So betrachtet war die Fixierung der Menschenrechte stets als ein Minimalstandard gedacht, an den sich die Mitgliedstaaten des Europarats zu halten haben.

 

Wer sich hinter die Initiative der neun EU-Staaten stellt, will die Menschenrechte zugunsten autoritärer und willkürlicher Politikformen zurückdrängen. Das wollen wir nicht.