Dublin-Griechenland und die Schweizer Ausschaffungspolitik

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Stop Dublin Greece

Seit Mitte 2024 werden im Rahmen der Dublin-Verordnung wieder Rückführungsentscheide nach Griechenland ausgesprochen. Das Kollektiv «Stop Dublin Greece», das sich aus Betroffenen zusammensetzt, macht auf die schweren Menschenrechtsverletzungen aufmerksam, die diese Politik mit sich bringt.

 

Bisher betrafen Dublin-Ausschaffungen nach Griechenland fast ausschliesslich Personen, die dort internationalen Schutz erhalten haben. Ein Begriff, der bereits überstrapaziert wirkt: Denn Schutzsuchende, die nach Griechenland zurückgeschickt werden, finden dort keinen wirksamen Schutz. Seit Juni 2020 müssen Personen, die in Griechenland als Flüchtlinge anerkannt sind oder einen Status haben, ihre Unterkunft innerhalb von 30 Tagen verlassen. Es gibt für sie keine staatliche Hilfe oder finanzielle Unterstützung. Der Zugang zum Arbeitsmarkt und zum Gesundheitssystem wird durch eine schwerfällige Bürokratie behindert. Unabhängige Berichte, wie die von Amnesty International oder der Istanbuler Online-Zeitung TR724, dokumentieren Fälle von
Gewalt, sexuellen Übergriffen und systematischem Missbrauch von Geflüchteten.

 

Die Rechtsprechung des EGMR und die schweizerische Kehrtwende
Im Jahr 2011 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Fall M.S.S. gegen Belgien und Griechenland eindeutig, dass Griechenland kein sicheres Land ist. Im selben Jahr hatte die Schweiz (durch das SEM) die Dublin-Überstellungen nach Griechenland ausgesetzt.


Was sich seitdem geändert hat, sind nicht die Bedingungen, sondern die Vereinbarungen. Im Jahr 2022 unterzeichnete die Schweiz ein Kooperationsabkommen mit Griechenland, das einen Beitrag von 40 Millionen Schweizer Franken für «migrationsbezogene Projekte» im Rahmen der Beiträge der Schweiz an bestimmte EU-Mitgliedstaaten, der sogenannten «Kohäsionsmilliarde», vorsah. Im Jahr 2024 begann die Schweiz erneut, Dublin-Nichteintretensentscheide gegen Griechenland zu erlassen. Dennoch war keine greifbare Verbesserung der Aufnahmebedingungen festzustellen. Erst vor kurzem beschrieb ein Artikel in der REPUBLIK (28.03.25) ausführlich die katastrophale Situation unbegleiteter minderjähriger Jugendlicher in den sogenannten
«Safe Areas», die von der Schweiz für 16 Monate mit 4 Millionen Franken finanziert werden.

 

Outsourcing von Grenzen: eine gezielte Strategie
Wie der Professor für Volkswirtschaftslehre Adam Hanieh betont, verfolgt die Europäische Union eine Strategie der «Externalisierung» der Grenzen: Transitländer wie Griechenland werden gegen Bezahlung zu den neuen Hütern der europäischen Grenzen. Das Abkommen Schweiz-Griechenland folgt dieser Logik und geht auf Kosten der Grundrechte.


Stop Dublin Greece: Eine Mobilisierung für das Recht
Am 9. Februar 2025 organisierte das Kollektiv «Stop Dublin Greece» eine Pressekonferenz in Bern, die vom Pangea-Kollektiv, Migrant Solidarity Network, Solidarité sans frontières, Droit de rester und anderen unterstützt wurde. Die Redner:innen betonten, dass Abschiebungen nach Griechenland gegen Artikel 3 der EMRK verstossen. Im Sinne der transnationalen Solidarität sagten wir: «Nur wenn wir Grenzen überschreiten, können wir diese Politik ändern.»


Fazit: Eine nicht zu rechtfertigende Politik, ein notwendiger Rückschritt
Ausschaffungen nach Griechenland sind nicht nur eine administrative Angelegenheit. Sie stellen eine Verletzung der Menschenrechte dar. Die Entscheidungen des EGMR, die Warnungen von NGOs und die Stimmen der Zivilgesellschaft dürfen nicht ignoriert werden. Die Schweiz muss diese Rückführungen sofort stoppen. Das Recht auf Asyl ist kein Privileg. Es ist ein Grundrecht.


Die Mobilisierung
Das «Stop Dublin Greece»-Kollektiv will nicht aufgeben. Nach der Pressekonferenz und einer Versammlung vor dem SEM wurde im Mai eine Demonstration organisiert. Und es wird weitergehen. Jeder solidarische Mensch ist aufgerufen, sich der Bewegung anzuschliessen.

 

Weitere Informationen:
Osama Abdullah, Lukas Häuptli, Lorenz Naegeli: 
«Lager auf Samos: Haft für Kinder, bezahlt von der Schweiz», REPUBLIK vom 28. März 2025.
DJS, Legal Centre Lesvos, Samos Volunteers:
Expert Opinion: No Returns to Greece – Dublin Returnees Face Real Risk of Inhuman or Degrading Treatment.

 

Dieser Artikel erscheint Anfang Juni im Sosf-Bulletin 02/2025.